Freitag, 15. Januar 2016

Genau so und doch ganz anders - Geschichten von Menschen mit Hautkrebsdiagnose

Seit einem Jahr beschäftigt mich das Thema Hautkrebs. In dieser Zeit bin ich vielen Menschen begegnet, die die gleiche Diagnose erhalten haben. Ich habe Zuschriften als Reaktion auf diesen Blog erhalten, hatte während der Reha spannende Begegnungen und bin mit vielen Menschen verbunden, die auf Facebook Mitglieder der Gruppe "Diagnose Hautkrebs und lachend in der Sonne" sind. Dort vernetzen sich Leute, die ebenfalls an Hautkrebs erkrankt sind.Diese Gruppe ist für mich seit der Diagnose wichtiger Bestandteil meiner Krankheitsbewältigung - sozusagen eine virtuelle Selbsthilfegruppe. Wenn du dort schreibst, wie schlecht es dir geht, weil der nächste Nachsorgetermin ansteht, erntest du nicht verständnislose Blicke - denn jede/r dort weiß, was gerade in deinem Kopf abgeht.
Aufgrund der positiven Erfahrungen in der Gruppe habe ich gemerkt, wie hilfreich und aufbauend die Berichte von anderen sein können. Deshalb habe ich in der Gruppe gefragt, ob es dort Leute gibt, die ihre Krankengeschichte in diesem Blog erzählen möchten und habe mich total gefreut, ein positives Echo zu erhalten. 
Antjes Geschichte ist die erste in einer losen Reihe, die hier veröffentlicht wird. Ihre Story hat mich ergriffen und zum Lachen gebracht. Ich habe mich dort wiedergefunden und konnte neues entdecken. Danke, Antje, für deine Geschichte!


Mein Name ist Antje, ich bin jetzt 44 Jahre und Mutter von drei Jungs. Also eine ganz gewöhnliche Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht, ihren Beruf liebt, immer hundert Prozent gibt, kerngesund ist und sich mal mehr und mal weniger erfolgreich mit den alltäglichen Sorgen des Lebens herumschlägt.

Im Sommer 2013 fiel mir ein Leberfleck am Rücken auf. Er blutete. Gut, dachte ich, vielleicht bin ich da irgendwie mit dem Fingernagel dran gekommen. Das Bluten wiederholte sich. Wenn ich mal Luft habe, muss ich mir einen Termin beim Hautarzt besorgen. Das waren damals meine Gedanken. Aber vorher muss ich noch das erledigen und das und das ...

August 2014. Ein wunderbarer Urlaub auf der Insel Usedom liegt hinter meiner Familie und mir. Keine Ahnung, warum gerade jetzt, aber ich mache einen Termin bei der Hautärztin und erfahre, dass ich im Dezember kommen kann. Dezember? Ich erkläre der Schwester, dass dieser Fleck blutet und ich mir regelmäßig meine Klamotten versaue. Und plötzlich ist ein Termin für die kommende Woche machbar.

Premiere. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich bei einer Hautärztin. Wow, dass Wartezimmer ist ja toll. Der Beamer wirft Urlaubsbilder, vermutlich von der Ärztin, aus aller Herren Länder an die Wand. Uruguay, Argentinien, Bolivien...diese Farben, einfach toll. Dann ändert sich das "Programm". Das Thema lautet jetzt "Hautkrebsvorsorge". Schade, das finde ich jetzt nicht mehr so interessant und schaue mich weiter im Wartezimmer um. Ein Plakat an der Wand fesselt mich. Zuerst sehe ich die Bilder der Leberflecken und denke, dass die genauso aussehen, wie mein Fleck. Die Überschrift irritiert..."Das ist kein Leberfleck sondern Schwarzer Hautkrebs".
Der Termin bei der Ärztin verläuft anders als erwartet. Sie wirft einen Blick auf meinen Rücken und sagt: "Den schneide ich raus, jetzt gleich." Dann "beschaut" sie mich weiter. Sehr, sehr gründlich...  Kurz darauf liege ich mit einem blauen Häubchen auf dem Kopf plus einer örtlichen Betäubung auf dem Bauch und schaue auf weiße Fliesen. In meinem Kopf ist nur eine Frage und eigentlich will ich sie nicht stellen, denn irgendwie ahne ich, dass die Antwort alles verändert.
"Ist das Hautkrebs?" Jetzt ist es raus und es kommt mir so vor, dass der folgende Satz, wie eine schwammige, dröhnende Wolke über mir schwebt. "Ich möchte ehrlich zu ihnen sein, zu 99% ist das Schwarzer Hautkrebs. Wenn der Befund da ist, wissen wir mehr." Und ich kann mich noch genau an meine Reaktion erinnern. "Wenn sie das -schwarz- so betonen, ist das wahrscheinlich nicht der Harmloseste?" Ansonsten nur Leere, keine Fragen, keine Gefühle. Eine Krankschreibung möchte ich nicht, auch wenn meine Ärztin das gerne hätte. Es sind Sommerferien, wir sind chronisch unterbesetzt und ich brauche Ablenkung.

Mit wem kann ich reden, soll ich überhaupt mit jemandem reden? Mein Mann erfährt es als erster. Eine seltsame Situation..ich bin 42 Jahre, quasi gerade aus der Pubertät raus. Sowas ist doch ein Thema für Ältere?! Ich will das nicht, nicht das Gespräch, nicht diese Gedanken. Mein Mann und ich einigen uns darauf, den Befund abzuwarten.

Einige Zeit später bekomme ich den Befund per Telefon. Malignes Melanom, Tumordicke 1,1 mm, Clarklevel II. Mein Mann ist soeben zum Spätdienst. Ich stehe mit dem Kochlöffel in der Hand in der Küche und schaue auf meine drei Jungs, die lautstark ihr Essen einfordern. Also alles wie immer....

Ich sitze wieder vor meiner Ärztin, bekomme Kontaktdaten, Infoblätter, Instruktionen. "Haben sie alles verstanden oder haben sie noch Fragen?". Ich verneine, bejahe und organisiere in Gedanken schon die Woche, die ich im Krankenhaus sein werde.Jetzt habe ich den Befund schwarz auf weiß. Natürlich verstehe ich nur die Hälfte und habe jetzt tausend Fragen. Ich fange an zu googeln. Gott sei Dank, alles halb so schlimm. Oder doch nicht? Der Wächterlymphknoten! Du blödes Mistding, wehe du bist befallen.

Ich bin genervt, von den Menschen, die voller Mitleid sind, genervt von denen, die keinen Ton rausbringen. Niemand kann es mir Recht machen. Wie auch?

Das letzte Mal war ich zur Geburt im Krankenhaus...vor vier Jahren. Das hier ist was anderes. Ich bin vorbereitet, löchere die Ärzte mit meinen Fragen. Die verärgerte, zickige Phase ist vorbei. Ich bin der Optimismus in Persona. Alles wird gut, weil ich es so will...

Frohen Mutes sitze ich in der Radiologie. Gleich wird festgestellt, wo mein Wächter sitzt. Das Vorbereitungsgespräch beginnt und die Schwester erklärt mir freundlich lächelnd, dass ich gleich vier Spritzen um meine Brustwarze bekomme.. Äähm, ich hab' aber was am Rücken! Endlich wieder herzhaft lachen und die peinlich berührte Schwester beobachten..tolles Gefühl. Die OP verläuft problemlos, der Wächter an der Leiste ist raus und der Nachschnitt am Rücken ist erledigt. Der September ist wunderbar sonnig und das Klinikum hat einen herrlichen Park. Ich verbringe viel Zeit dort. Ich lese wieder. Gott..wie lang ist das her, dass ich ein Buch in der Hand hatte. Meine Schwester besucht mich und wir stopfen uns in der Cafeteria mit Kuchen voll. Meine Zimmernachbarin ist eine liebenswerte, fast 80jährige Frau. Eigentlich nicht die ideale Kombi, aber diesmal passt es wie die Faust aufs Auge. Ihr Mann kommt jeden Tag und versorgt sie mit Essen. Das ist soooo goldig. Zwei Tage später bin ich adoptiert und werde mitversorgt. Die Schwestern schimpfen und sagen, dass ich essen muss. Wenn die wüssten....

Die schlimmste Zeit ist vorbei. Das Warten auf den Befund. Die Ärztin kommt mit erhobenen Daumen in mein Zimmer. Es ist alles gut, der Wächter ist ohne Befund! Ich fange an zu heulen und zu lachen. So muss sich ein Dampfkessel fühlen. Bin komplett durch den Wind und laufe dämlich grinsend durch die Gegend. Das Leben ist schön!

Zwei Wochen später fahre ich zur Anschlußheilbehandlung. Ich möchte jetzt an mich denken. Drei Wochen Ruhe und Kraft tanken. Ich fühle mich wie im Ferienlager für Erwachsene. Zwei, drei Tage brauche ich, um mich an den Rhythmus zu gewöhnen. Dann es ist einfach nur super.  Ich habe tolle Menschen kennengelernt und meine Entscheidung zu fahren nie bereut.

Ich steh' wieder voll im Arbeitsleben. Nur die Kontrolluntersuchungen, der Schwerbehindertenausweis und die Narbe erinnern mich ständig, dass nichts mehr so ist wie früher. Ich beobachte mich argwöhnisch. Auf der Narbe hat sich vier Wochen später eine seltsame Beule gebildet. Also wieder Schneiden und Entwarnung. Es ist keine Hautmetastase, nur eine Zyste.
Seit Neustem fotografiere ich verdächtige Flecke. Es ist ein ständiges Auf und Ab. Mal sag' ich mir, dass ich es geschafft habe. Dann kommt wieder die Phase, wo ich mich frage, ob nicht doch, irgendwo in meinem Körper, sich so eine verdammte Mikrometastase eingenistet hat. Unsichtbar und ungesehen.

Letzte Woche wurde wieder ein Fleck rausgeschnitten und ich warte auf den Befund. Zu Hause, mit meiner Familie, die immer noch etwas zu essen möchte... Also alles wie immer!

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