Dienstag, 17. Februar 2015

Der Befund - an einem Ort mit unvorstellbaren Schrecken

Die kommenden Tage waren eigentlich schon seit Wochen prall gefüllt mit Terminen, meist beruflicher Art. Ein Meeting in Frankfurt konnte ich absagen, die private Geburtstagsfeier am Samstag Abend überstand ich mit vielen Gläsern eines schlechten Bio-Rotweins.
Am Montag flog ich in aller Frühe nach Krakau, um dort sowohl an der Zeremonie zum 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz teilzunehmen, als auch als für eine Podiumsdiskussion zur Verfügung zu stehen, in der es auf internationaler Ebene um Holocaust Education ging.
Ich war froh, weit weg von Deutschland zu sein. Der Besuch der Schindlerfabrik und das Abendessen mit den Teilnehmenden der Konferenz lenkte ab. Am nächsten Tag fand die große offizielle Gedenkveranstaltung statt. Wir versammelten uns in Auschwitz, im Konzentrationslager Birkenau - dort, wo die Züge mit den vielen, vielen Menschen ankamen, die dann sofort vergast oder wenig später ermordert worden waren.
Die Feierlichkeit sollte um 15:30 Uhr beginnen. Es war kalt und windig, am Abend zuvor hatte es geschneit. Das kleine Orchester begann zu spielen - und mein Handy klingelte. Ich verließ den Platz und ging Richtung Ausgang. Die nette junge Ärztin war am Telefon. Ich wusste, was sie sagen würde, bevor ich ihre Stimme hörte. "Es ist leider, wie befürchtet. Die obere Stelle, die wir entnommen haben, war ein malignes Melanom." Ich stapfte durch den Schnee. "Der Tumor ist allerdings im ersten Stadium entfernt worden. Er hatte eine Dicke von 0,66 mm. Man sagt, dass es erst dann gefährlich wird, wenn 0,75mm überschritten werden." Meine Hände waren so kalt, dass ich Schwierigkeiten hatte, das Handy zu halten. "Was bedeutet das jetzt für mich?" fragte ich. "Sie werden zu uns in die Klinik kommen müssen und wir werden den betreffenden Bereich nachschneiden. Wir untersuchen Ihre Lymphknoten und suchen nach Tumormarkern im Blut. Bitte notieren Sie sich die Nummer der Bettenvergabe unserer Klinik." Stift? Zettel? Nicht greifbar - also: zuhören und merken. "Hören Sie,", sagte die Ärztin, "es ist nicht schön, einen solchen Befund zu erhalten, aber Sie haben wirklich Glück gehabt, dass wir bei Ihnen so früh handeln konnten. Sie werden stationär bei uns aufgenommen. Wenn dort alles gut verläuft, haben Sie beste Chancen auf vollständige Heilung."
Ich stand in Auschwitz, dem Ort, an dem über eine Million Menschen gestorben waren. Ich sah die zerstörten Krematorien und die vielen Kamine der unzähligen Baracken. In diesem Moment erschienen meine Sorgen und Nöte auf einmal ganz klein. Ich würde mich um meine Probleme kümmern, wenn ich wieder zu Hause war. Jetzt nicht.

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